Ausbeutung in der Textilindustrie

Das Geschäftsmodell der Fast Fashion, bei dem Mode zu geringsten Preisen in Billiglohnländern hergestellt wird, dominiert seit den letzten Jahrzehnten die Modeindustrie. Weltweit werden jährlich rund 100 Milliarden Kleidungsstücke produziert. Im Durchschnitt wird rund 60 Prozent mehr Kleidung gekauft als noch vor 15 Jahren - in Deutschland rund 60 Kleidungsstücke pro Jahr. 

Die meisten der nach Deutschland importierten Kleidungsstücke kamen im Jahr 2019 aus China, Bangladesch, der Türkei, Italien, Indien, Vietnam, Kambodscha oder Pakistan. Rund 75 Millionen Menschen arbeiten in der Textilindustrie, ca. 80 Prozent von ihnen sind Frauen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren. Viele sind Hauptverdiener*innen ihrer Familien. 

Wir wollen dich hier über verschiedene Missstände in den einzelnen Schritten der Textilherstellung informieren - vom Baumwollanbau über die Garnproduktion bis hin zum Nähen der Kleidung. Am Ende gehen wir kurz auch auf die aktuellen Auswirkungen auf die Textilarbeiter*innen während der Corona-Pandemie ein.

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Mehr als 90 Prozent der global gewonnenen Baumwolle wird in Ländern des globalen Südens hergestellt, 75 Prozent davon von Kleinbauern. Meist wird Hybridbaumwolle gepflanzt, die manuell bestäubt werden muss. Hierbei ist Kinderarbeit weit verbreitet.

Eine Befragung des Südwind-Instituts im indischen Gujarat ergab, dass 2017 hochgerechnet rund 57.000 Kinder im Alter von neun bis 14 Jahren und 93.000 Jugendliche in der Baumwollbestäubung tätig waren. 

Alle arbeiteten acht bis zehn Stunden täglich, die meisten rund 30-60 Tage am Stück. Dafür erhielten sie am Ende der Saison rund 1,50 bis 1,90 Euro pro Tag, jedoch wurde davon häufig noch rund 20 Prozent abgezogen. Die Lager, in denen Arbeiter*innen untergebracht werden, sind oft nur schlecht ausgestattet. 30 Prozent der befragten Kinder schliefen im Freien, sanitäre Anlagen gibt es in vielen Fällen nicht. Auch medizinische Versorgung ist unzureichend, wenn es sie gibt, werden die Kosten vom Lohn der Kinder abgezogen. Außerdem sind die Kinder sehr oft körperlicher Gewalt ausgesetzt.


Quelle:
Südwind Institut (2018): Flinke Finger. Kinderarbeit auf indischen Baumwollsaatgutfeldern. Zugriff am 15.04.2020 unter
https://bit.ly/2wDUNZ0


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In der Baumwollernte sind Beschäftigte oft Wanderarbeiter*innen und besitzen keine Festanstellung. Sie haben daher keine festgelegten Arbeitsrechte. Oft arbeiten sie mehr als 10 Stunden pro Tag, leisten unbezahlte Überstunden und haben im Krankheitsfall keine Absicherung. Die Arbeiter*innen haben zudem keinen Schutz vor den giftigen und hormonschädigenden Pestiziden oder Schutzmasken, die das Einatmen des Baumwollstaubs verhindern würden.

Hier findet ihr die eine verfügbare Dokumentation des Südwind-Instituts über die Baumwollherstellung in Indien.

In Usbekistan, wo die Baumwollproduktion verstaatlicht ist, wurden zudem jahrzehntelang Millionen Menschen von der Regierung zur Zwangsarbeit in der Ernte verpflichtet. Aufgrund der niedrigen Löhne für die harte Arbeit auf den Feldern ist es schwer, freiwillige Arbeiter*innen zu finden, daher zwangen örtliche Beamte Angehörige staatlicher Institutionen, wie Lehrer*innen, Krankenhausmitarbeiter*innen oder Student*innen zur Arbeit auf den Baumwollfeldern. Darunter waren jeden Sommer und Herbst auch bis zu zwei Millionen Schulkinder. In den letzten Jahren hat sich die Situation verbessert und Kinderarbeit gibt es mittlerweile nicht mehr. Nach Angaben der ILO gab es 2019 jedoch immer noch rund 102.000 Zwangsarbeiter*innen.

Quellen:
Lill, F. (2019): Das Land der Baumwoll-Sklaven. Zugriff am 15.04.2020 unter
https://bit.ly/2XEp3yg
Laarz, D. (2013): Wo Lehrer und Ärzte zu Baumwoll-Sklaven werden. Zugriff am 15.04.2020 unter
https://bit.ly/2z6zhNH. 


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Nach der Ernte wird die Baumwolle in Spinnereien zu Garn verarbeitet. In Indien, dem zweitgrößten Textilexporteur, befinden sich rund 60 Prozent der Spinnereibetriebe in Tamil Nadu im Süden des Landes. Dort ist das Sumangali- oder Labour-Camp System weit verbreitet. Rund 300.000 Mädchen und junge Frauen arbeiten dort unter Bedingungen der modernen Sklaverei. Gewöhnlich wird ihnen für die Arbeit nur ein sehr geringer Lohn gezahlt und über einen Zeitraum von drei bis sechs Jahren eine zusätzliche Geldsumme angeboten. Viele benötigen diesen als traditionellen Brautpreis. Die Arbeitslager, in denen die Mädchen oft sieben Tage die Woche zwölf Stunden am Tag arbeiten, stellen ein System der physischen und psychischen Unterdrückung dar. Die Mädchen dürfen die Lager nicht verlassen und sind verwundbar gegenüber sexuellen Übergriffen, zudem führt fehlender Arbeitsschutz oft zu Unfällen. Es gibt immer wieder Suizide - 2016 wurden in Unterkünften von Spinnereien Leichen von 86 Mädchen gefunden, wie Recherchen der NGO Save ans Licht brachten. Sechs von ihnen sollen nach Vergewaltigungen Selbstmord begangen haben, die Todesursache der anderen wurde nicht aufgeklärt.

Quellen:
Dohmen, C. (2016): Zäher Kampf gegen moderne Sklaverei. Zugriff am 15.04.2020 unter
https://bit.ly/2RDTaC7
Initiative Nachrichtenaufklärung (2019): Kinderarbeit für das Brautgeld - Das Sumangali-System in Südindien. Zugriff am 15.04.2020 unter
https://bit.ly/3cmj7Oe
FEMNET (o.J.): Moderne Sklaverei in indischen Spinnereien. Zugriff am 15.04.2020 unter
https://bit.ly/3emHeOJ


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Wir alle kennen die mit Absicht zerfranste Jeans oder das Shirt im modischen ‘Used-Look’. Doch was vielen nicht bewusst ist, sind die Umstände für die Arbeiter*innen und die Umwelt, unter denen diese Veredelungen stattfinden. Die Textilveredelung benötigt enorm viel Wasser, welches am Ende der Produktion meist 90 Prozent der Chemikalien und 20 Prozent der Farbstoffe enthält. Diese Chemikalien sind nicht nur hormonell wirksam, sondern auch krebserregend, allergen, langlebig und schwer auszufiltern. Das wiederum führt dazu, dass der Klärschlamm meist nicht fachgerecht entsorgt wird und so die Umwelt dauerhaft geschädigt wird (Wasser-, Boden- und Luftverschmutzung). 

Leider ist damit noch nicht das Ende des Wasserkreislaufs erreicht, denn durch diese Misswirtschaft kommt es zur Verschmutzung des Trinkwassers und die Einheimischen sind zum Kauf von zusätzlichem Trinkwasser gezwungen, oder, wenn sie sich dies nicht leisten können, müssen sie verseuchte Nahrungsmittel zu sich nehmen und damit verbundene Krankheiten in Kauf nehmen.

Für die Arbeiter*innen steht es vergleichbar schlecht: es gibt keinen Arbeits- oder Gesundheitsschutz und Langzeitforschungen zu Kausalitäten bei nicht vorhandenem Schutz vor Chemikalien gibt es noch nicht. Auch die Nicht-Existenz bzw. Nicht-Einhaltung von Chemikalienverordnungen, das Unwissen der Arbeitnehmer*innen und die fehlende Unternehmenshaftung sind eine denkbar katastrophale Mischung.

Es gibt zum Glück Hoffnung, sogenannte Detox-Firmen bemühen sich um eine Umwelt- und Arbeitnehmer*innen-freundliche Produktion. Alle Infos dazu sind hier in diesem Beitrag von Greenpeace nachzulesen.


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Das Nähen von Kleidung ist besonders arbeitsintensiv. Bei einem T-Shirt mit einem Verkaufswert von 29 Euro machte dieser Arbeitsschritt jedoch nur rund 18 Cent des Endpreises aus. Dies wird nur dadurch erreicht, dass die Arbeiter*innen einen unzureichenden Lohn erhalten. In Bangladesch liegt der Mindestlohn für Textilarbeiter*innen bei rund 60 Euro monatlich, was 32 Cent pro Stunde entspricht. Selbst der Mindestlohn ist jedoch für eine Person bemessen und reicht nicht aus, um eine Familie zu versorgen. Ihre Rechte können Arbeiter*innen kaum durchsetzen, da die Organisation in Gewerkschaften oft gewaltsam unterdrückt wird.

Ein weiteres Problem ist, dass Produktionsbetriebe oft Teile ihrer Aufträge an Subunternehmen weitergeben. Die Arbeits- und Menschenrechte in den Schattenfabriken unterliegen keinen Kontrollen.

Überlange Arbeitszeiten von bis zu 14 Stunden am Tag, in Schichtarbeit, sind die Regel. An Exporttagen müssen Arbeiter*innen teilweise in den Fabriken übernachten, um Aufträge rechtzeitig fertigzustellen. Überstunden werden jedoch nicht immer bezahlt. Der extreme Zeitdruck führt dazu, dass kaum Zeit für Pausen oder Toilettengänge gewährt wird. Auch Schwangere müssen dieselbe Arbeit wie Nichtschwangere leisten. Diese Umstände und der psychische Druck können zu ernsten gesundheitlichen Folgen führen.

Die frei verfügbare Dokumentation “Udita (Arise)” begleitet einige Textilarbeiter*innen in Bangladesh über fünf Jahre hinweg im Kampf um ihre Rechte.

Quelle:
Clean Clothes Campaign (o.J.): Faircademy - Textile Kette. Zugriff am 15.04.2020 unter
https://bit.ly/2wI3XE3. 


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Ausgerichtet auf maximalen Profit und minimales Risiko für die Modemarken, machen die Strukturen der Modeindustrie diese Beschäftigten im Moment zu den von der Corona-Krise am stärksten Betroffenen.

Da der Modekonsum weltweit eingebrochen ist, stornieren die meisten Hersteller ihre Aufträge bei Zulieferern und übernehmen keine Verantwortung für die Existenzen der Beschäftigten in ihren Lieferketten.

Für die Produzenten bleibt meist nur die Option, Arbeiter*innen zu entlassen oder nicht mehr zu bezahlen. Gesetzliche Bestimmungen zu Lohnfortzahlungen und Abfindungen durch die Unternehmen werden oft nicht eingehalten, zudem ist die informelle Beschäftigung im Textilsektor hoch.

Wie kannst du dich nun konkret einsetzen? Zum Beispiel indem du dich direkt an deine Lieblingsmarken wendest und Verantwortung gegenüber den Arbeiter*innen in deren Lieferketten einforderst. Bei Fashion Revolution findest du eine E-Mail-Vorlage und weitere Tipps dazu. Zudem findest du dort auch Listen mit Organisationen, an die du Spenden richten kannst. Clean Clothes Campaign informiert in einem Live-Blog über die Ereignisse.

Quellen:
Statista (2020): Wichtigste Herkunftsländer für Bekleidungsimporte nach Deutschland nach Einfuhrwert im Jahr 2019. Zugriff am 15.04.2020 unter
https://bit.ly/2XK7SLo
Worker Rights Consortium (2020): Who will bail out the works that make our clothes?. Zugriff am 15.04.2020 unter
https://bit.ly/3ens63J
Bain, M. (2020): Coronavirus threatens the livelihoods of garment workers around the world. Zugriff am 15.04.2020 unter
https://bit.ly/2XCpTve
Cernansky, R. (2020): As coronavirus spreads, supply chain workers face layoffs. Zugriff am 15.04.2020 unter
https://bit.ly/2Vyswvg
Jokerst, S. (2020): Corona und die Auswirkungen auf die Beschäftigten in den Textilfabriken. Zugriff am 15.04.2020 unter
https://bit.ly/3aakfDd
Clean Clothes Campaign (2020): How the Coronavirus influences garment workers in supply chains. Zugriff am 15.04.2020 unter
https://bit.ly/2K7SMYi
Kelly, A. (2020): Garment workers face destitution as Covid-19 closes factories. Zugriff am 15.04.2020 unter
https://bit.ly/2RHBcOZ